Der gesellschaftliche und politische Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (engl. Environment, Social, Governance, kurz ESG) ist in vollem Gang oder wohl eher im Schnellzug unterwegs.
Die Europäische Union prescht vor und verpflichtet ab dem Geschäftsjahr 2025 neben börsen kotierten Unternehmen auch alle grösseren KMU (welche zwei von drei Kriterien erfüllen: mehr als 250 Mitarbeiter - 20 MCHF Bilanzsumme - 40 MCHF Umsatz) zur nichtfinanziellen Berichterstattung gemäss den Vorgaben der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und den flankierenden ESRS (European Sustainability Reporting Standards).
Für die Schweiz würde dies - wären diese Standards unmittelbar anwendbar - bedeuten, dass alle Unternehmen, welche zu einer ordentlichen Revision verpflichtet sind, davon betroffen wären. Aktuell unterstehen in der Schweiz rund 5500 Unternehmen einer ordentlichen Prüfungspflicht des Jahresabschlusses durch einen zugelassenen Revisionsexperten. Die Anforderungen an die EU-Berichterstattung sind umfassend, vereinheitlicht und klar geregelt. Der Prüfungsumfang durch einen akkreditierten Wirtschaftsprüfer für Nachhaltigkeitsberichte ist mit der Prüfung des Jahresabschlusses zu vergleichen.
Dies stellt die KMU in der EU aktuell vor enorme Herausforderungen im Bereich des zusätzlichen Bedarfs an Nachhaltigkeitsspezialisten und der Implementation von neuen respektive angepassten Unternehmensprozessen über die ganze Wertschöpfungskette. Es ist davon auszugehen, dass es eine Frage der Zeit ist, bis sich die Schweiz den Vorgaben der EU anpassen wird oder muss. Dies wird über den politischen Weg oder indirekt über gesellschaftlichen Druck respektive über den wirtschaftlichen Druck in der Lieferkette passieren. Aus der wirtschaftlichen Perspektive sind dabei insbesondere auch Risikoaufschläge bei Unternehmensfinanzierungen und Bewertungen zu erwähnen, für den Fall, dass Kreditgeber ein Unternehmen als wenig nachhaltig einstufen oder die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht aussagekräftig ist.
Nachhaltiger wirtschaften
Unsere Schweizer KMU-Landschaft steht vor grossen Herausforderungen. KMU, welche sich aktiv mit dem Thema auseinandersetzen und die Nachhaltigkeitstransformation rasch initiieren, werden möglicherweise zu Profiteuren werden. Für Schweizer KMU gibt es zwei Herangehensweisen, sich mit dem Thema der Nachhaltigkeit stärker auseinanderzusetzen: den pragmatischen Weg mit "Quick Wins" oder den systematischen Ansatz. Die hier abgebildete Grafik veranschaulicht die zentrale Fragestellung der Nachhaltigkeitsüberlegungen.
Nachhaltigkeit in Zeiten des Fachkräftemangels
Der Fachkräftemangel gefährdet die Stabilität unseres Wirtschaftsraumes und damit unseren Wohlstand. Die zukünftigen Entwicklungen und Auswirkungen der Nachhaltigkeitsbestrebungen dürfen nicht unterschätzt werden. Experten im Bereich Nachhaltigkeit (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) werden knapp und plötzlich stark nachgefragt werden. Damit unsere KMU den künftigen Anforderungen an die Nachhaltigkeit gerecht werden sowie den Anschluss an den internationalen, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Markt nicht verpassen, bedarf es gezielter Investitionen in die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden.
Für eine erfolgreiche und nachhaltige Transformation zu nachhaltigen Prozessen, Produkten und Dienstleistungen ist es für ein KMU entscheidend, dass Mitarbeiter über sämtliche Stufen miteinbezogen werden. Das Bewusstsein bei den Führungs- und Leitungsverantwortlichen für dynamische und interdisziplinäre Prozesse gilt es zu schärfen.
Für kleine KMU lohnt sich eine pragmatische Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung unabhängig von einer direkten gesetzlichen oder regulatorischen Pflicht ebenfalls. Ohne grosse Investitionen und Kosten lassen sich rasche "Quick Wins" erzielen, welche unmittelbar zur Profitabilität beitragen, die Reputation verbessern und die Arbeitgeberattraktivität erhöhen. Die internationalen Liefer- und Produktionsketten werden durch gesetzliche Rahmenbedingungen nachhaltig ausgerichtet und transparent nachgewiesen werden müssen. Wir beobachten eine rasante regulatorische Entwicklung im europäischen Wirtschaftsraum mit enormen Chancen für agile, innovative und zukunftsgerichtete KMU.
AUTOREN
Andreas Brumann
Energie- und Umweltmanager
Senior Manager
OBT AG, Zürich
Thorsten Kleibold
Mitglied Fachkommission Swiss GAAP FER
Partner
OBT AG, St. Gallen