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Die Kunst der Lockerheit

Der Schweizer Produktdesigner Uli Witzig fährt schon seit über 50 Jahren Citroën. An den neuen Modellen gefällt ihm nicht alles, ihre Ausstrahlung habe die Marke aber bewahrt, findet er.

Die Kunst der Lockerheit

Duo mit Charakter: Das neue Citroën-Flaggschiff C5 X (hinten) und der C4 von Uli Witzig. Bild: Nina Treml

Uli Witzig ist nicht ein Name, der in einem Atemzug mit Philippe Starck, Charles Eames und Arne Jacobsen fällt. Die Wahrscheinlichkeit, schon mal mit einem seiner Designs in Kontakt gekommen zu sein, ist trotzdem riesig. Auf seinem Reissbrett im zürcherischen Wolfhausen entstand das klassische Züri-Tram, welches das Stadtbild ab Ende der 70erbis in die Nullerjahre hinein prägte. Er entwarf zahllose Bürostühle für den Schweizer Hersteller Sitag und schaffte es mit einem Modell sogar in den Hollywoodstreifen «Batman».

Regionalzüge, Bergbahnen, Zahnbürsten, Waschmaschinen und Geschirrspüler tragen seine Handschrift. Vor allem erschuf er die WC-Betätigungsplatte von Geberit, die - mochten sie ihm unter Berufskollegen noch so viel Spott als «Schiissi-Designer» einbringen - den Designstandard setzte und weltweit in mehreren Hundert Millionen Haushalten und Hotels Einzug hielt. Kurzum, einem Uli Witzig sollte man die Designexpertise nicht absprechen. Manche Leute, die um seine Vorliebe für französische Autos insbesondere der Marke Citroën wissen, tun es aber doch, stellt er belustigt fest: «Aus irgendeinem Grund sind viele enttäuscht, dass ich mich als Designer nicht für deutsche Autos begeistere oder zumindest einen Sportwagen fahre», wundert er sich.

Befürworter des SUV-Trends

Warum also ausgerechnet französische Autos? Witzig vermutet, es habe mit seiner Zeit an der Keramikfachschule Anfang der 60er-Jahre in Lausanne zu tun. Die französisch angehauchte Lebensart der Romands sei von einer Lockerheit geprägt, die er später auf der Hochschule für Gestaltung im süddeutschen Ulm und während seiner ersten Berufsjahre in Zürich vermisste. In den Designs von Renault, Peugeot, Citroën und Co. fand er sie wieder: «Während deutsche Autos Ernsthaftigkeit und Strenge bis hin zu einer gewissen Pedanterie ausstrahlen, geben sich französische Autos gern verspielt, mutig und experimentierfreudig », sagt er.

Ob das Verspielte nicht in einem Widerspruch zu seinem eigenen, auffallend minimalistischen Designstil steht? «Doch, vielleicht», sinniert Witzig, « aber ich mag Gegensätze. » Gutes Produktdesign stehe immer in einem Spannungsfeld von Kunst und Kommerz, Funktionalität und Spiel, Mainstream und Abgrenzung, und manchmal sei es eben interessanter, den Fokus auf Abgrenzung statt Mainstream zu setzen. «Das aktuelle Markengesicht von Citroën mit seinen schlitzartigen Tagfahrleuchten und grossen Scheinwerfereinheiten könnte nach meinem Geschmack ein wenig ruhiger und reduzierter sein», gibt er zu. «Aber wichtiger ist mir, dass die Marke abseits des Massengeschmacks fährt. Damit kann ich mich gut identifizieren.»

53 Jahre ist es inzwischen her, seit der heute 77-Jährige mit dem Dyane sein erstes CitroënModell kaufte; zwei Wochen, seit er sich einen neuen C4 vors Haus stellte. Dazwischen gab es mal einen GS («der schönste Citroën, den ich mir damals leisten konnte - ein DS lag leider nicht drin»), zwei XM («grandiose Reisemaschinen! »), einen C6 («mein teuerstes und luxuriösestes Modell, nur leider etwas zu gross und ohne Rückfahrkamera, sodass ich ständig in die Karosseriewerkstatt musste»), einen C1 für seine Frau sowie einen C4 Cactus («sehr lustiges Wägelchen!»).

Geschätzt hat er sie nicht nur für eine gewisse Andersartigkeit, sondern für ihre markentypisch kompromisslose Komfortorientierung. Er sei mit diesen Autos quer durch Europa getingelt, von Ostdeutschland bis nach Spanien, erzählt Witzig. Unvorstellbar, sich für solche Reisen in einen sogenannten Designklassiker wie den Porsche 911 oder den Jaguar E-Type zu zwängen - «auch wenn ich für diese rollenden Denkmäler durchaus eine Wertschätzung habe».

Dass früher mehr charmante Details in den Interieurs zu finden waren - etwa das Einspeichenlenkrad im GS oder ein beleuchteter Lupentacho-, bedauert der Produktdesigner allemal: «Heute ist das Innenleben recht nüchtern gestaltet, und ich kann höchstens durch eine Konfiguration mit unterschiedlichen Materialien und Kontrasttönen für Farbtupfer sorgen.» Trotzdem ist er, der wohlgemerkt während seiner gesamten Berufskarriere bis vor zehn Jahren nie einen Computer bediente, sondern alles von Hand zeichnete und nach wie vor weder ein Smartphone noch eine E-Mail-Adresse besitzt, kein Früher-war-allesbesser-Typ. Im Gegenteil. Er schätzt Features wie das Headup-Display, den Abstandtempomat und die Abblendautomatik und befürwortet den Trend zu höher gelegten Crossovers. «Am Boden kauernde Limousinen sind passé», meint er. Sein neuer C4 gefällt ihm durch die Kombination aus SUV-Karosserie und knackigem Coupé-Heck mit grosser, praktischer Klappe.

Mehr Platz für Design

Und wie gefällt Witzig das zur Beurteilung mitgebrachte, neue Citroën-Flaggschiff C5 X? «Wie damals schon der C6 ist er zu gross für mich und meine Parkierkünste», winkt er lachend ab. Aber optisch erscheint er ihm noch gelungener als der C4, gerade in der Seitenansicht. «Weil er der Citroën-Designsprache durch seine Grösse mehr Platz gewährt, um zur Geltung zu kommen», erklärt er. Dass bei dem 4,81-MeterTopmodell sogar drei Karosserien - Limousine, Kombi und SUV - kombiniert wurden, findet er nicht irritierend, sondern raffiniert. «Anders als viele behaupten, sehen Autos heutzutage eben doch nicht alle gleich aus», hält er fest. «Der C5 X ist der beste Beweis dafür. Ich kenne derzeit kein anderes Modell auf dem Markt, das ähnlich progressiv wirkt.»

Witzig selbst hat im Lauf seiner Karriere nie ein Auto designt. «In der Schweiz fehlte dazu schlicht der Zugang», erklärt er. Dies habe er, nachdem er sich einst im Designzentrum eines italienischen Herstellers umschauen durfte, aber auch nie bedauert. «Bei grossen Autobauern arbeitet man als Designer oft jahrelang ausschliesslich an Türfallen, Radkappen oder Felgen, ehe man vielleicht in die Karosserieabteilung aufsteigt, wo man sich dann jahrelang um die Fenstereinteilung kümmern darf.» Dagegen sei sein Job als selbstständiger Produktdesigner immer sehr abwechslungsreich gewesenund sein Blick auf Automobile genauso locker geblieben wie noch vor 53 Jahren.